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4 Anwendungen der Fuzzy Logic

4.1 Überblick

Die meisten industriellen Anwendungen wurden im Bereich der Fuzzy-Regelung (auf diese wird weiter unten noch intensiv eingegangen) und der Fuzzy-Expertensysteme entwickelt. Andere industrielle Anwendungsgebiete für Fuzzy-Systeme sind z.B. [Kruse 1995, Seite 68]:

4.2 Fuzzy-Regelungssysteme

Die größten Erfolge im Bereich industrieller und kommerzieller Anwendungen von Fuzzy-Systemen wurden bisher durch Fuzzy-Regler (engl.: Fuzzy Controller) erzielt [Kruse 1995].

4.2.1 Klassische Regelungssysteme

Wichtig ist der umgangssprachlich oft nicht beachtete Unterschied zwischen einer Regelung und einer Steuerung. Allgemein bedeutet Steuerung Größen durch andere, davon unabhängige, Größen zu beeinflussen. Steuervorgänge werden vor allem dort angewendet, wo auftretende Störgrößen einen konstanten, bekannten, oder nur geringen Einfluß auf die Regelgröße haben. Der Nachteil einer Steuerung liegt darin, daß das effektive Ergebnis der Steuerung nicht überwacht wird und damit keine Kontrolle stattfindet.

Genau dieses unterscheidet die Regelung von der Steuerung: bei der Regelung wird der Istwert einer Ausgangsgröße ständig gemessen und mit einer Führungsgröße (dem Sollwert) verglichen. Eine Differenz bewirkt eine angemessene Änderung der Eingangsgröße derart, daß der Differenz entgegengewirkt wird. Die Ausgangsgröße beeinflußt also die Eingangsgröße.

Das Prinzip der Steuerung und Regelung ist graphisch dargestellt in den Abbildungen 18 und 19.

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Abbildung 18: Das Prinzip der Steuerung

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Abbildung 19: Das Prinzip der Regelung

4.2.2 Struktur von Fuzzy-Regelungssystemen

Wie bei einem konventionellen Regler transformiert ein Fuzzy-Regler Eingangsgrößen (Sensormessungen) in Ausgangsgrößen, die auf den Prozeß bzw. die Regelstrecke wirken. Von außen betrachtet weist der Regler dabei keine ``Unschärfe'' auf. Die für Fuzzy-Systeme typische Unschärfe wird im Innenbereich des Reglers benutzt.

Bei der Erstellung eines Fuzzy-Regelungssystemes wird folgendermaßen vorgegangen (vgl. [Kahlert 1994, S. 169 und 175]):

  1. Wahl der Meßgrößen und der daraus abgeleiteten Größen (Änderung, etc.) als Eingangsgrößen des Fuzzy-Reglers sowie die Stellgröße als Ausgangsgröße,
  2. Festlegung der möglichen Wertebereiche für Ein- und Ausgangsgrößen (Skalierung der linguistischen Variablen),
  3. Definition der linguistischen Terme und ihrer Zugehörigkeitsfunktionen (Fuzzy-Mengen) für sämtliche linguistischen Variablen,
  4. Aufstellen der Regelbasis aufgrund von
  5. Testen des zugehörigen Regelkreises und ggf. Anpassung der Parameter

Jeder Fuzzy-Regler besteht aus drei verschiedenen Komponenten (vgl. Abbildung 20):

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Abbildung 20: Logische Struktur eines Fuzzy-Reglers mit mehreren Eingangsgrößen und einer Ausgangsgröße

Die Eingangssignale werden dabei erst einmal ``fuzzifiziert'', es wird also zu jedem Eingangssignal der entsprechende Zugehörigkeitswert, also die entsprechenden Fuzzy-Mengen festgestellt. Diese Fuzzy-Mengen dienen dann als Eingabe für die Inferenzeinheit. In der Inferenzeinheit werden die einprogrammierten Regeln verwendet, um für jede Fuzzy-Menge zu bestimmen, in welchem Ausmaß sie zutrifft. Die Ergebnisse der verschiedenen Regeln werden dann in geeigneter Weise kombiniert, um aus den Ergebnissen der Inferenz ein scharfen Ausgangswert zu erzeugen. Dieser Schritt wird ``Defuzzifizierung'' genannt. Die einzelnen Schritte werden weiter unten noch ausführlicher erklärt.

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Abbildung 21: Badewannensystem

Als Beispiel soll ein Fuzzy-Regler konstruiert werden, der abhängig von der Badewassertemperatur den Zufluß neuen Wassers so regeln soll, daß das Badewasser immer eine möglichst angenehme Temperatur hat (Fortführung des Beispieles aus 2.4). Dazu stehen zwei Wasserleitungen (``rot'' und ``blau'') zur Verfügung, die in ihrer Zuflußstärke gesteuert werden können (vgl. Abbildung 21).

Die Meßgröße (Eingangsgröße) ist die Temperatur eines in der Badewanne befestigten Meßfühlers. Die Öffnung der Ventile (zwischen offen und geschlossen) des roten und blauen Wasserstroms ist die zu regelnde Ausgangsgröße. Die linguistische Variable ``Badewassertemperatur'' wird mit dem Satz linguistischer Terme ``kalt'', ``kühl'' ``angenehm'', ``warm'', ``heiß'' modelliert. (vgl. Abbildung 17). Die linguistische Variable ``Temperaturzufuhr_blau'' (analog rot) wird mit dem Satz linguistischer Terme ``stark'', ``mittel'' und ``aus'' modelliert . (Abbildung 22).

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Abbildung 22: Die Modellierung der linguistischen Variable ``Temperaturzufuhr_blau'' und ``-rot''

4.2.3 Fuzzifizierung

Die Fuzzifizierung führt die den scharfen Meßwert der Temperatur in einen Vektor von Zugehörigkeitsgraden der linguistischen Variablen ``Badewassertemperatur'' über. Wenn wir einen Meßwert von 56 Grad annehmen (Abbildung 23), so ist die Fuzzy-Menge ``warm'' 0.31 erfüllt, und ``heiß'' 0.675. Das Wasser ist mit 56 Grad also zwischen warm und heiß, und zwar eher heiß. Der scharfe Wert 56 Grad wird zu einem Vektor (0.0, 0.0, 0.0, 0.31, 0.675) der Fuzzy-Variablen ``Badewassertemperatur'' (kalt, kühl, angenehm, warm, heiß).

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Abbildung 23: Fuzzifizierung des Temperaturwertes 56 Grad

4.2.4 Regelbearbeitung

Um die Temperatur des neu zugeführten Wassers abhängig von der aktuellen Temperatur zu machen, sind Regeln nötig, wie z.B.:

  1. WENN Badewassertemperatur = ``heiß'', DANN Temperaturzufuhr_blau = ``stark'', Temperaturzufuhr_rot = ``aus''
  2. WENN Badewassertemperatur = ``warm'', DANN Temperaturzufuhr_blau = ``mittel'', Temperaturzufuhr_rot = ``aus''
  3. WENN Badewassertemperatur = ``kühl'', DANN Temperaturzufuhr_blau = ``aus'', Temperaturzufuhr_rot = ``mittel''
  4. WENN Badewassertemperatur = ``kalt'', DANN Temperaturzufuhr_blau = ``aus'', Temperaturzufuhr_rot = ``stark''

Nun wollen wir testen, in welchem Grad die Regeln betroffen sind. Wir gehen dazu alle Regeln der Reihe nach durch. Wir stellen fest, daß alle Regeln bearbeitet werden müssen.

Die Bedingung in Regel 1 ist nur zu 0.675 erfüllt, dementsprechend wird das Ergebnis Temperaturzufuhr_blau entsprechend gekürzt: wir schneiden die Fuzzy-Menge ``heiß'' der linguistischen Variablen Temperaturzufuhr_blau der Höhe 0.675 ab. Wir verfahren analog mit Regel 2. Das Ergebnis ist in Abbildung 24 zu sehen. Die Ergebnisse müssen jetzt noch kombiniert werden, hier nehmen wir jeweils das Maximum und erhalten die Fuzzy-Menge in Abbildung 25. Für die Temperaturzufuhr_rot erhalten wir die Fuzzy-Menge ``aus'' in der Höhe 0.675, dem Maximum von 0.675 und 0.31.

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Abbildung 24: Ergebnis der Inferenz: Ausgangsvariable Temperatur_blau

4.2.5 Defuzzifizierung

Die Fuzzy-Menge aus Abbildung 24 muß nun noch in einen scharfen Wert umgewandelt werden. Wie oben schon erwähnt, wird üblicherweise der Schwerpunkt der Fläche bestimmt, dieser dann auf die x-Achse projeziert, und der sich ergebende Wert wird dann als Ausgangswert benutzt. Für die Ausgangsvariable ``roter Ventil'' ergibt sich ``aus'' (der Schwerpunkt ist direkt über ``geschlossen''), für das ``blaue Ventil'' nach Abbildung 25 ein Öffnungsgrad des Ventils von ungefähr 86%.

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Abbildung 25: Defuzzifizierung der linguistischen Variablen Temperaturzufuhr_blau

4.2.6 Vorteile und Nachteile gegenüber anderen Reglertypen

Die Vorteile von Fuzzy-Reglern sind, daß diese eine recht schnelle, realistische, problembezogene, aussagekräftigere Modellierung auch komplexer Systeme mit nichtlinearem Verhalten ermöglichen. Dabei ist die Beschreibung und das Verhalten eines Systems mit linguistischen Ausdrücken möglich, was wesentlich einfacher ist als durch mathematische Beschreibungsverfahren. Ebenfalls angenehm ist die gute Wartbarkeit: falls die Regelung in einem Bereich nicht gut ist, werden entsprechende Regeln ergänzt oder verändert, bzw. die Definition der Fuzzy-Mengen verändert. Als positiv erweist sich häufig die gute Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse: die Regeln können der Reihe nach notfalls auch per Hand durchgerechnet werden.

Die Nachteile von Fuzzy-Reglern, gerade gegenüber neuronalen Netzen, ist, daß diese nicht lernfähig sind. Damit ist keine automatische Anpassung an eine sich verändernde Umgebung möglich. Auch können Fehler in der Erstellungsphase später kaum wieder verbessert werden. Unangenehm bei den Defuzzifizierungsmethoden ist, daß es schwierig sein kann, die richtige Methode zu finden. Der Vorteil der Unschärfe wird durch Rückübersetzung in diskreten Wert oft zerstört. Die Berechnung des scharfen Endwertes ist entweder komplex, langsam und gut, oder schnell, dafür aber mit einem schlechteren Ergebnis. Hier gibt es also einen Trade-off zwischen Geschwindigkeit und Ergebnisgüte.

4.3 Kombination von Fuzzy-Reglern und Neuronalen Netzen

Bei dem Entwurf von Fuzzy-Reglern sind insbesondere die Aufstellung der Regelbasis, sowie die geeignete Modellierung der Fuzzy-Mengen problematisch. Durch die Kombination von Fuzzy-Reglern mit neuronalen Netzen können diese Nachteile recht gut kompensiert werden.

Adaptive Fuzzy-Systeme

Bei adaptiven Fuzzy-Systemen existieren beide Teile selbstständig: das neuronale Netz und der Fuzzy-Regler. Der Fuzzy-Regler liefert dem neuronalen Netz Beispieldaten zur Verfügung, auf deren Basis das neuronale Netz eine optimierte Regelbasis erstellt, die dann dem Fuzzy-System für die Ausführung des Inferenzmechanismus zurückgegeben wird. Dadurch verlieren die Inferenzregeln ihren starren Charakter, das Fuzzy-System kann sich einer verändernden Umwelt (z.B. Verschleißerscheinungen) anpassen.

Neuro-Fuzzy-Systeme

Hier verschmelzen das neuronale Netz und der Fuzzy-Regler zu einem Gesamtsystem. Die Systeme existieren hier nicht mehr selbständig nebeneinander, sondern gehen ineinander über: das Neuronale Netz übernimmt zusätzlich zur Regelbasisoptimierung auch den Inferenzprozeß. Diese Systeme haben den Vorteil, daß die Ein- bzw. Ausgangsdaten in fuzzy-typischer Form wie z.B. sprachliche Ausdrücke vorliegen können, während die Optimierung durch die Anpassungsfähigkeit und die Inferenz von einer neuronalen Struktur vorgenommen wird.

Der zusätzliche Vorteil der adaptiven Fuzzy-Systemen ist, daß diese sich auch in sicherheitskritischen Bereichen einsetzten lassen, da die Regeln sich sowohl kontrollieren, als auch deren maximalen Ausprägungen vorschreiben lassen.

4.4 Fuzzy-Hardware

Fuzzy-Regler lassen sich nur relativ aufwendig durch Software implementieren. Die im Prinzip mögliche Parallelisierung wird dabei nicht ausgenutzt, und die Simulation analoger Werte zwischen 0 und 1 durch Gleitkommazahlen ist aufwendig und zeitintensiv. Dies hat schon relativ früh dazu geführt, daß Fuzzy-Regler direkt in Hardware implementiert wurden. Dies führt zu einer schnelleren Verarbeitungszeit, sowie einer starken Miniaturisierung. Ein Problem der meisten Fuzzy-Hardware-Regler ist die Effizienz der Defuzzifizierung. Die Schwerpunktmethode eignet sich hierfür kaum, da hier keine parallele Abarbeitung möglich ist und die dazu nötigen mathematischen Operationen recht aufwendig sind.

4.5 Fuzzy-Expertensysteme

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Abbildung 26: Struktureller Aufbau eines Fuzzy-Expertensystems

Fuzzy-Logic eignet sich wegen der guten Verarbeitung von vagen Informationen, wie sie in der Praxis recht häufig vorkommen (Medizin: hohes Fieber, etc.), gut für den Einsatz in Expertensystemen. Der wesentlichste Unterschied zu konventionellen Expertensystemen ist, daß Fuzzy-Expertensysteme keine Entscheidungsbäume durchlaufen, sondern wie bei der Fuzzy-Regelung Regeln partiell aktivieren und sie zu einem Gesamtergebnis verschmelzen. Damit kann auch widersprüchliches Wissen mehrerer Experten genutzt werden, was sonst nicht möglich ist: in konventionellen Systemen müssen die Regeln konsistent sein. Bei Fuzzy-Expertensystemen kann die Anzahl der Regeln, die normalerweise notwendig ist, um ein Wissensgebiet zu beschreiben, deutlich reduziert werden. Es wird von einer Reduktion der nötigen Regeln um den Faktor 100 bis 1000 gesprochen [McNeill 1996, Seite 309]. Damit kann die Entwicklungszeit eines Fuzzy-Expertensystems im Vergleich zu einem herkömmlichen Expertensystem oft wesentlich verkürzt werden. Andere Vorteile sind, daß für die Ermittlung einer Antwort nicht alle Informationen benötigt werden: vorhandene Daten werden ausgewertet und die zutreffensten Ergebnisse zurückgeliefert. Der strukturelle Aufbau eines Fuzzy-Expertensystems ist in Abbildung 26 wiedergegeben.


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Gerhard Müller